11. Deutsch-Japanisches Umwelt- und Energiedialogforum zur Industrie von morgen: Dekarbonisierung als Industriepolitik
Sowohl Japan als auch Deutschland streben bis 2050 Treibhausgasneutralität an. Dafür ist ein tiefgreifender Wandel erforderlich, der alle Teile unserer Wirtschaft und Gesellschaft betrifft. Die Industrie, die weltweit für rund 30% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Vom 16. Bis zum 18. Februar 2021 kamen beim diesjährigen Deutsch-Japanischen Umwelt- und Energiedialogforum (UEDF) über 450 Expert*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beider Länder digital zusammen, um gemeinsam über die Industrie von morgen zu reflektieren und dabei politische, technische und gesellschaftliche Pfade hin zur einer treibhausgasneutralen Industrie zu diskutieren. Zentrale Fragen waren dabei: Wie kann Treibhausgasneutralität in der japanischen und deutschen Industrie erreicht werden? Was sind die größten Herausforderungen, mögliche Lösungsstrategien und technologische Optionen? Wie kann Politik den Wandel unterstützen und die Industrie befähigen, Vorreiter auf den kohlenstofffreien Technologiemärkten der Zukunft zu werden?
Seit seiner Gründung im Jahr 2007 hat sich das UEDF zu einer renommierten Plattform für den Informationsaustausch zwischen Expert*innen aus Industrie, Wissenschaft und Politik beider Länder zu aktuellen Umwelt- und Energiefragen sowie zu einem Ausgangspunkt für Kooperationsprojekte entwickelt. Veranstalter sind Bundesumweltministerium (BMU), Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und die japanische NEDO (New Energy and Industrial Technology Development Organization). Unterstützt wird die Veranstaltung zudem vom japanischen Wirtschaftsministerium (METI) und dem japanischen Umweltministerium (MoEJ). Implementiert wurde das Forum von adelphi und ECOS, die Organisation wurde zudem von der AHK Japan unterstützt. Im Auftrag des BMWi unterstützt adelphi seit 2016 den bilateralen Energiedialog zwischen Deutschland und Japan, der 2019 mit Gründung der Energiepartnerschaft noch einmal intensiviert und gefestigt wurde.
Tag 1: Wege zur einer klimaneutralen Industrie und ihre Bedeutung für die japanische und deutsche Energie- und Klimapolitik
Den Anfang der dreitägigen Konferenz machten hochrangige Vertreter*innen aus Japan und Deutschland. Herr Ishizuka, Chairman von Japans New Energy and Industrial Technology Development Organisation (NEDO), betonte in seinem Grußwort die Bedeutung der japanischen Ankündigung, bis 2050 Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Er sprach außerdem davon, dass Deutschland und Japan über hohes Innovationspotential verfügten, woraus eine Verantwortung erwachse, der Welt den Zugang zu neuen Technologien zu ermöglichen.
Norbert Gorißen, Unterabteilungsleiter Internationales im Bundesumweltministerium, fügte in seiner Keynote hinzu, dass der Klimawandel Antworten in allen Sektoren erfordere und dass insbesondere die Industrie ein Schlüsselsektor auf dem Weg zur Dekarbonisierung sei. Er erklärte zudem, welche Schritte Deutschland zur Dekarbonisierung der Industrie unternimmt, wobei etwa ein Leitprogramm zur Förderung der Industrien und der Schutz vor Carbon Leakage Erwähnung fanden.
Ursula Borak, Unterabteilungsleiterin für Internationale Energiezusammenarbeit im Bundeswirtschaftsministerium, betonte in Ihrer Rede die langjährige Freundschaft zwischen Japan und Deutschland sowie die erfolgreiche Kooperation zwischen beiden Ländern, die von Verlässlichkeit und Innovationskraft geprägt sei. In Anbetracht des gemeinsamen Ziels der Klimaneutralität seien Kooperationen wie die Energiepartnerschaft wertvoll.
Shinichi Kihara, Deputy Commissioner for International Affairs bei der Agency for Natural Resources and Energy im japanischen Ministry of Economy, Trade and Industry (METI) erwähnte in seiner Rede die Green Growth Strategy seines Landes und betonte, dass in Zukunft ein positiver Kreislauf zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz entstehen könne. Er erklärte zudem, dass Wasserstoff, Carbon Recycling und Offshore-Windkraft zentrale Elemente auf dem Weg zur Dekarbonisierung der japanischen Volkswirtschaft seien.
Die Eröffnungsrunde wurde von Keiko Segawa, Deputy Director-General, Global Environment Affairs, im japanischen Ministry of the Environment beendet. Sie ging darauf ein, dass Japan den Weg zur Klimaneutralität entschlossen bestreiten wolle und erläuterte, dass aktuell mittel- und langfristige Strategien aufgestellt würden. Insbesondere wolle Japan noch vor COP 26 ambitioniertere Ziele für 2030 aufstellen. Zudem erwähnte sie, dass das japanische Covid-19 Förderpaket auch für grüne Technologien genutzt werden solle, dass Japan den Export von Kohlekraftwerken an langfristige Pläne zur Klimaneutralität koppeln werde und dass die Einführung eines CO2 Preises weiter beraten werde.
Nach den einführenden Reden folgte die erste inhaltliche Session, die sich mit den Grundlagen und Szenarien zu einer Dekarbonisierung der Industrie beschäftigte. Prof. Arima von der Universität Tokyo und Dr. Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik des Öko-Instituts, gingen näher auf die zu überwindenden Herausforderungen sowie die dafür notwendigen Rahmenbedingungen aus der jeweiligen Länderperspektive ein. In ihrem Vortrag stellte Yuko Nishida vom Renewable Energy Institute aktuelle Studien zu Japans Strategien vor und ging dabei insbesondere auf die Rolle von Wasserstoff als Schlüsseltechnologie ein. Philipp Hauser, Projektleiter bei Agora Energiewende, verdeutlichte die besondere Bedeutung, die der Stahl-, Chemie- und Zementindustrie bei der Dekarbonisierung zukommt, und beleuchtete entsprechende politische Optionen.
Zum Abschluss des ersten Konferenztages folgten Networking Sessions, die Teilnehmer*innen und Referent*innen eine Gelegenheit zum weiteren und tiefergreifenden Austausch zu den Themen des Tages gaben. Von besonderem Interesse war dabei die Session zu Kohlenstoffmärkten mit Herrn Kardish vom Sekretariat der International Carbon Action Partnership. Aber auch in anderen Sessions, die sich zum einen in einem Austausch mit Vertretern betroffener Regionen mit Strukturwandel und zum anderen mit japanischer Esskultur in Berlin beschäftigten, brachten sich die Teilnehmer*innen aktiv ein.
Tag 2: Technische Herausforderungen, Strategien der Industrie und digitale Lösungen
Am zweiten Tag der Konferenz verschob sich der inhaltliche Fokus stärker in Richtung von technischen Fragestellungen, wobei zunächst Dekarbonisierungsstrategien der Industrie beleuchtet wurden. Den Anfang machte Herr Dr. Wenzel, Leiter des Kompetenzzentrums Klimaschutz in energieintensiven Industrien, der darlegte, wie die Bundesregierung plant, Dekarbonisierungsprojekte in der Industrie zu unterstützen. Die zweite Referentin, Frau Siepmann, Senior Expertin für Nachhaltigkeit bei Bosch, stellte daraufhin den Ansatz ihres Unternehmens zur Erreichung der CO2-Neutralität an eigenen Standorten bis 2020 vor. Herr Monden, Department Manager bei Hitachi, fügte dieser deutschen Betrachtung noch die japanische Perspektive seines Unternehmens hinzu. Er ging insbesondere auf Bestrebungen zu smarten Technologieanwendungen ein.
In der darauffolgenden Session wurde ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der Digitalisierung gelegt. Herr Dr. Tuppen, Gründer von Advancing Sustainability Ltd., legte dar, wie digitale Lösungen, etwa Smart- und Micro-Grids, besonders in Schwellenländern von zentraler Bedeutung für die Dekarbonisierung sein können. Herr Dr. Yabe von NEDO, legte einen Fokus auf die Rolle der Digitalisierung zur Zielerreichung in Japan. Er erklärte, dass bei allen drei Säulen der CO2-Reduzierung; Erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie, Digitalisierung von großer Bedeutung sei und betonte insbesondere die Notwendigkeit weiterer technologischer Entwicklungen.
Nach den beiden Vorträgen wurden zudem interessante Demonstrationsprojekte aus der Industrie vorgestellt, etwa das Konzept „Smart Energy Stores“ bei der Supermarktkette Lawson in Japan, das Future Energy Lab der Deutschen Energie-Agentur und Dekarbonisierungsbestrebungen bei dem japanischen Energieerzeuger Tepco.
Der Tag wurde erneut durch Networking Sessions beendet, in denen sich über die Verantwortung einzelner Unternehmen zur Dekarbonisierung, über Digitalisierung und über die Effekte der Covid-19 Pandemie auf Volkswirtschaften und Emissionen ausgetauscht wurde.
Tag 3: Energieeffizienz und Wasserstoff als Optionen zur Dekarbonisierung
Der dritte Tag legte ebenfalls einen starken Fokus auf technische Fragen. Im Rahmen der ersten Session kam dabei Energieeffizienz als Dekarbonisierungsoption zur Sprache. Herr Dr. Riedel, Leiter des Instituts für CO2-arme Industrieprozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, erläuterte die Forschung seines Instituts an Hochtemperaturwärmepumpen, die zur Elektrifizierung industrieller Prozesse im Temperaturbereich von 150 -550° C genutzt werden können. In der Folge wurden weitere Demonstrationsprojekte vorgestellt, etwa ein Konzept zur effizienten Nutzung von Abwärme bei dem Trailer-Hersteller Krone und ein Konzept zur mathematischen Optimierung von Produktionsprozessen der Toyo Engineering Corporation. Zudem stellten Herr Dr. Döhl von Aluminium Norf und Herr Takeuchi von JX Nippon Metal and Mining jeweils Konzepte zur Dekarbonisierung durch Effizienzsteigerungen und Recycling in der Metallherstellung vor.
Die letzte inhaltliche Session der Konferenz beschäftigte sich mit der Rolle des Wasserstoffs zur Dekarbonisierung der Industrie. Frau Dr. Herbst legte in dem ersten Beitrag der Session dar, welche Technologien und Nutzungsoptionen sich aktuell und perspektivisch für die Industrie bieten. Sie betonte, dass Emissionsreduktionen von bis zu 95% in der Industrie möglich wären, dass dafür aber Grundvoraussetzungen wie die schnelle Marktreife von klimaneutralen Produktionsverfahren, eine ausreichende Versorgung mit Wasserstoff oder eine verstärkte Kreislaufwirtschaft erfüllt werden müssten. Im Anschluss wurden passende Demonstrationsprojekte vorgestellt, die optimistisch stimmten, da sie zeigten, dass viele der notwendigen Technologien bereits existieren oder aktuell implementiert werden. So stellte Herr Sakamoto der Präfektur Yamanashi Power-to-Gas Ansätze vor, Frau Willnauer von RWE erklärte das H2 Nukleus Projekt und die Implementierung des ersten Wasserstoffnetzes in Deutschland und Herr Yuzuki erläuterte die Strategie der Marubeni Corporation, ein CO2-freies Energieausgleichsystem zu etablieren. Zuletzt gingen Herr Dr. Juchmann von Salzgitter und Herr Dr. Nomura von der Nippon Steel Corporation auf Ansätze zur Dekarbonisierung der Stahlherstellung ein. In beiden Präsentationen wurde klar, dass eine Stahlherstellung mit Wasserstoff technisch umsetzbar ist, dass diesbezügliche Projekte allerdings noch auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
Auch der letzte Konferenztag endete wieder mit Networking Sessions. Am Donnerstag konnten sich Teilnehmer*innen und Referent*innen dabei zum Potential der Energieeffizienz, zur Frage welche Prozesse zuerst dekarbonisiert werden sollten und zu neuen Arbeitsformen nach der Pandemie austauschen.
Insgesamt war das nunmehr elfte Deutsch-Japanische Umwelt- und Energiedialogforum ein voller Erfolg. Mehr als 450 Expert*innen aus Deutschland und Japan nahmen an der virtuellen Konferenz teil und besonders die rege Beteiligung in Fragerunden sowie in den Networking Sessions zeigte das große Interesse an den besprochenen Themen. Zum Abschluss der Konferenz betonten Organisator*innen und Moderator*innen der Konferenz, Herr Hirai von NEDO, Herr Will von adelphi und Frau Schilling von ECOS zudem ihre Vorfreude auf das zwölfte Forum, sowie ihre Hoffnung, dass dieses wieder vor Ort in Tokio stattfinden kann.